Kurz-Chronologie im Fall Thorackerstr. Muri BE (rückwärts chronologisch)
Details
Um die Jahrtausendwende begann (vermutlich nicht nur im Grossraum Bern) der Boom von fixen (und mobilen) Plakatständern auf Trottoirs, nahe am Strassenrand oder an unübersichtlichen Stellen. Parteien und Organisationen im Raum Bern erhoben Einsprachen. "Dank" der Plakatgesellschaft APG gelangte ein Fall bis vor Bundesgericht, und die IG Velo bekam Recht.
Als erste Organisation zog die IG Velo
Bern Ende 2002 ein trotz ihrer Einsprache bewilligtes Gesuch der
Allgemeinen Plakatgesellschaft APG an den Kanton weiter (zwei Plakatständer
an der Thorackerstrasse in Muri BE). Als problematisch erachtete die IG
Velo Bern die Sichtbehinderung und einen Verstoss gegen die Signalisationsverordnung
SSV des Bundes, die 3 Meter Abstand von der Fahrbahn vorschreibt.
Die Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion
(BVE) hiess die Beschwerde im Juni 2003 gut und hob die Baubewilligung
auf. Sie verneinte ein genügend grosses Interesse der APG an genau
diesem Plakatstandort, und dem Bauvorhaben stehe das öffentliche Interesse
an der Verkehrssicherheit entgegen. Zudem wurde die Gemeinde Muri gerügt,
weil sie das Geschäft dem Regierungsstatthalter hätte überlassen
sollen.
APG zog weiter
Gegen den Entscheid der BVE führte
nun die APG Beschwerde vor Verwaltungsgericht. Dieses veranlasste eine
Besichtigung vor Ort und befragte Experten. Im
Juli 2004 bestätigte
es die Haltung der BVE: Die Plakate seien geeignet, in gewissen Fällen
die Verkehrssicherheit zu gefährden, was das eidg. Strassenverkehrsgesetz
verletze (Art. 6 SVG).
Dazu reiche bereits eine potentielle, nicht einmal in der Regel eintretende,
mittelbare Gefährdung aus.
Auch damit konnte die APG nicht leben
und zog den Fall ans Bundesgericht (BG) weiter. Im Dezember 2004
wies es die Beschwerde ab, die Begründung folgte im Januar 2005:
Die Vorinstanz und die Rügen der IG Velo Bern wurden vollumfänglich
gestützt. So hat sich das BG auch klar zur Verbindlichkeit des 3-Meter-Abstandes
bekannt. Die umstrittene, untergeordnete Bundes-Weisung aus dem damaligen
EJPD (Aera Furgler), die im Widerspruch zur SSV für gewisse Fälle
0,5 Meter erlauben würde, könne gemäss Bundesgericht nur
zu einer anderen Beurteilung führen, wenn es an jeglichen Sicherheitsbedenken
fehlen würde, was hier nicht der Fall sei. Zudem habe die Verkehrssicherheit
gegenüber wirtschaftlichen Interessen ein grosses Gewicht.
Das Bundesgericht wies die Beschwerde
der APG ab, und es bestand auch kein Anlass, die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Kommentar
Bislang hat vor allem die APG den (vermeintlichen)
Spielraum, der durch sich teils widersprechende Bundesvorschriften (SSV
und EJPD-Weisung) sowie weitgehend fehlende
Regelungen bei Kantonen und Gemeinden entstand, unbekümmert - um nicht
zu sagen unverfroren - ausgereizt. Durch problematische Standorte hat sie
die Einsprachen erst recht provoziert.
Andere Plakatfirmen (wie zum Beispiel
Plakanda) haben die 3-Meter-Vorschrift übrigens immer vorbildlich
eingehalten.
Konfrontation statt Verhandlung
Schon im Fall Thorackerstrasse Muri bot
die IG Velo den Rückzug der Einsprache an, falls der Standort gewechselt
wird (grösserer Abstand), oder das Plakat parallel zur Strasse gestellt
wird. Die APG fühlte sich aber so sicher, dass sie sogar eine Einspracheverhandlung
ablehnte. Die Baubewilligung der Gemeinde Muri ist spätestens jetzt
als ziemlich unbedarft einzustufen. So waren wir gezwungen, die Baubewilligung
Muris anzufechten. Die IG Velo verlangte eine grundsätzliche Klärung,
ob denn Bundesvorschriften wie der vorgeschriebene 3-Meter-Abstand überhaupt
etwas gelten. Sowohl die BVE wie das Verwaltungsgericht wagten sich jedoch
nicht an die Beurteilung von Widersprüchen im Bundesrecht; sie argumentierten
mit kantonalen Bauvorschriften und der allgemeinen Verkehrssicherheit gegen
die Plakate.
Während laufender Verfahren hat die
IG Velo der APG bis im Frühling 2003 zweimal (einmal mündlich,
einmal schriftlich) ein Gesprächsangebot gemacht, damit man gemeinsam
unproblematische Plakatstandorte evaluieren könnte. Die APG hat dies
abgelehnt. In der schriftlichen Antwort hiesse es, sie könnten sich
nicht vorstellen, mit uns konstruktiv zu verhandeln. Dies obwohl wir nicht
systematsisch gegen alle SSV-widrigen Plakate Einsprachen erhoben, sondern
nur die verkehrsgefährdenden Standorte bekämpften.
Das Bundesgericht war deutlicher:
Die Verkehrssicherheit gilt mehr als die
(Ge-)Werbefreiheit.
Und die 3 Meter Mindestabstand gelten
grundsätzlich. Wo auch nur geringe Sicherheitsbedenken bestehen, sind
die 3 Meter Abstand von der Fahrbahn einzuhalten. Wörtlich: "Diese
Weisungen
können nur zu einem andern Resultat führen, wenn es für
den vorgesehenen Standort an jeglichen Sicherheitsbedenken fehlen würde,
was hier gerade nicht der Fall ist."
Sichthindernisse abräumen!
Allein im Grossraum Bern stehen dutzende,
wenn nicht hunderte von Plakaten näher als 3 Meter an der Fahrbahn.
Sicher wäre es unverhältnismässig zu verlange, alle zu "verpflanzen",
dennoch ist naheliegend, dass viele davon rechtswidrig sind und die Verkehrssicherheit
teilweise gefährden. Paradebeispiel sind die Plakate
an der RBS-Station im Zentrum Muris. Solch monströse Sichthindernisse
im Bereich von Fussgängerstreifen, die geltendes Bundesrecht zweifelsfrei
auf krasseste Weise missachten, müssen verschwinden! Gegen das Bundesamt
für Verkehr, das solche Tramstationen als Ganzes bewilligt, läuft
auch 2005 noch eine Aufsichtsbeschwerde der SP.
Bundesämter, Kantone und Gemeinden
brauchen klare und rechtssichere Regelungen. Die IG Velo Schweiz hat sich
für solche Schutzbestimmungen in der laufenden Revision des Strassenverkehrsrechts
eingesetzt. Das Ergebnis ist noch offen.
Thomas Schneeberger, für das Velojournal 1/2005
-> Die gefährlichsten Plakate von Muri (nicht Gegenstand des oben beschriebenen Verfahrens!)